Die Verfolgung „Gemeinschaftsfremder“ Bregenzer:innen ab 1938

Neben Kranken und Menschen mit Behinderung waren auch „Gemeinschaftsfremde“ von der Verfolgung durch die Nationalsozialisten betroffen, die in vielen Fällen in Arbeitshäusern und Konzentrationslagern durch Unterversorgung und härteste Arbeitsbedingungen zu Tode gebracht wurden. Der Begriff „Gemeinschaftsfremde“ wurde als Synonym für „Asoziale“ verwendet. Als „asozial/deviant“ oder „gemeinschaftsfremd“ galten all jene, die aus Sicht des Regimes gemeinschaftswidrig handelten beziehungsweise nicht den Mindestanforderungen der „Volksgemeinschaft“ entsprachen. Betroffen waren vor allem „moralisch Verkommene“, „Arbeitsscheue“, „Arbeitsverweigerer“, „Trinksüchtige“, Bettler, Landstreicher, Menschen mit ansteckendenden (Geschlechts-)Krankheiten und „unsittlichem“ Lebenswandel. Auch mehrfach vorbestrafte Personen, die als „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ galten, wurden vielfach in Konzentrationslager eingewiesen.

Bei der Verfolgung „Gemeinschaftsfremder“ kann je nach Fall zwischen fürsorgerechtlicher Verfolgung, Verfolgung durch die Kriminalpolizei oder die Justiz unterschieden werden, wobei es oft zu behördenübergreifenden Kooperationen kam. Bei der fürsorgerechtlichen Verfolgung spielten erneut die Gesundheits- und Fürsorgeämter eine entscheidende Rolle. Das Gesundheitsamt Bregenz führte beispielsweise eine „Trinkerkartei“ mit 100 Personen.

Die justizielle Verfolgung erreichte zwischen 1942 und 1944 ihren Höhepunkt, als etwa 20.000 „asoziale“ Justizgefangene der Polizei zur „Vernichtung durch Arbeit“ übergeben wurden. Mehr als zwei Drittel davon kamen in Konzentrationslagern um.

Es sind einige Fälle von verfolgten Bregenzer „Gemeinschaftsfremden“ belegt. Franz K. wurde wegen Betrugs mehrfach verurteilt und kam daher 1941 in das Zuchthaus Bernau am Chiemsee. Auf Betreiben der Kriminalpolizeistelle Innsbruck wurde er als „Gewohnheitsverbrecher“ eingestuft und kam am 22. Oktober 1941 nach Dachau. Im Rahmen der „Aktion 14f13“, bei der nicht mehr „arbeitsfähige“ Häftlinge in den KZs aussortiert wurden, kam Franz K. mit einem „Invalidentransport“ am 12. Oktober 1942 nach Hartheim und wurde dort getötet. Ein ähnliches Schicksal erlitt Albert H., der zwischen 1927 und 1932 in Bregenz lebte. Er kam 1942 als „AZR“ (Arbeitszwanghäftling Reich) und damit als „asozial“ klassifiziert, zunächst nach Dachau und wurde ebenfalls im Rahmen der „Aktion 14f13“ in Hartheim ermordet. Die Einstufung „asozial“ konnte sogar eine ganze Familie betreffen, wie ein Fall aus Bregenz belegt: Der Vater kam, auf Antrag des Gesundheitsamts als Alkoholiker eingestuft, 1942 in den Wanderhof Herzogsägmühle, wo er am 3. Juli 1944 durch Arbeit zu Tode gebracht wurde. Ein Sohn starb im Rahmen der „Aktion T4“ in Hartheim, zwei weitere Geschwister wurden im Sanatorium Mehrerau zwangssterilisiert.

Die genaue Zahl der Bregenzer Opfer ist bis heute noch nicht bekannt. Die „Gemeinschaftsfremden“ zählen bis heute noch zu den „vergessenen Opfern“.

Diakonie Herzogsägmühle, Zeichen setzen gegen das Vergessen. Gedenkbuch für die Opfer und Verfolgten der NS-Gesundheitspolitik in Herzogsägmühle 1934 – 1945.
Julia Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938, Göttingen 2017.
Gernot Kiermayr, Krieg gegen Arme, Kranke, „Behinderte“ und „Asoziale“. Die Verfolgung von als sozial „deviant“ oder „krank“ kategorisierten Menschen in Bregenz in der NS-Zeit, in: Stadtarchiv Bregenz (Hrsg.), Nationalsozialismus erinnern (Bregenz. Schriften zur Stadtkunde Band 2), Bregenz 2021, S. 8−49.
Gernot Kiermayr, Warum musste Oswald Schwendinger sterben? Dier Verfolgung der „Gemeinschaftsfremden“ in Vorarlberg im Nationalsozialismus (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 18), Bregenz 2023. S. 71-80.

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